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Treffen mit Erdogan

Für Angela Merkel hieß es Sein oder Nichtsein

Historiker Michael Stürmer zu den Hintergründen des Treffens von Kanzlerin Angela Merkel mit Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Ein Freundschaftsbesuch war es nicht, den Angela Merkel am Montag dem starken Mann am Bosporus abstattete – nicht weil sie wollte, sondern weil sie musste. Aus protokollarischen Gründen und um das Gesicht zu wahren, wurde die Begegnung der Kanzlerin und des türkischen Präsidenten als Randereignis des Gipfeltreffens für humanitäre Hilfe in Istanbul inszeniert.

In Wahrheit ging es für Merkel fast schon um Sein oder Nichtsein, und ihr Gastgeber wusste das. Viel hat Frau Merkel nicht erreicht und konnte es nach Lage der Dinge auch nicht.

In Istanbul steht viel Zukunft auf dem Spiel

Vor ein paar Monaten noch als mächtigste Frau der Welt gefeiert, muss sie jetzt die Bruchstücke der europäischen Flüchtlingspolitik zusammenklauben, die auch mit ihrem Namen verbunden ist. Gibt es keine mittel- und langfristig tragfähige Antwort, ist nicht nur die Union in einer Existenzkrise, zusammen mit den Sozialdemokraten, sondern – siehe AfD – das Gesamtgefüge der deutschen politischen Parteien. Es steht viel Zukunft auf dem Spiel in Istanbul, eingeschlossen die der Kanzlerin.

Merkel machte ihr Missfallen deutlich

Erdogan genießt den starken Auftritt. Er zeigt gerade den Türken, den Kurden und dem Rest der Welt, was Durchregieren bedeutet: Den kurdischen Abgeordneten wurde jüngst die parlamentarische Immunität durch Mehrheit der Erdogan-Getreuen aberkannt. Der Weg ist frei zu einem harschen Präsidialregime mit angeschlossenem Bürgerkrieg.

Am Montag hat die Kanzlerin Erdogan ihr Missfallen kundgetan, ihre „tiefe Besorgnis“ angesprochen, und musste in Sachen Grundrechte das Fazit ziehen: „Die Fragen sind nicht vollständig geklärt.“ Aber sie beharrte auch auf Einhaltung sämtlicher Bedingungen für die EU-Visafreiheit für Türken – weswegen es damit zum 1. Juli sicher nichts werde.

Den Pakt einfach platzen lassen

Ob sie mehr erreicht als Gesichtswahrung, wird sich zeigen. Erdogans Türkei fühlt sich stark, nicht nur auf der heimischen Bühne, sondern auch im Verhältnis EU/Türkei. Erdogan drohte, man könne bei Nichtgefallen den ausgehandelten Pakt ja auch platzen lassen. Flüchtlingsstopp gegen einige Milliarden Euro, Hinnahme des Ausnahmezustands und Aufweichung der Bedingungen für EU-Beitritt der Türkei. Erdogan hat einen Ruf zu verlieren: autoritär, islamistisch und unberechenbar.

von Michael Stürmer

Themen: Angela Merkel B.Z. Videos Nachrichten Recep Tayyip Erdogan Türkei
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